04.04.2025

MV

Man kann ja nicht nicht wohnen

Kaum jemand hält sich noch an das geltende Mietrecht. Deshalb steigen die Mieten kontinuierlich. Die Bevölkerung muss dies korrigieren und das Abzocken von Mietenden stoppen. Der Mieterinnen- und Mieterverband lanciert eine Volksinitiative.

Sie fragen sich, warum die Mieten steigen und steigen?

Eigentlich haben wir ein kluges Mietrecht. Mieten müssen sich nämlich an den realen Kosten der Vermietenden orientieren, abseits des Prinzips von «Angebot und Nachfrage». Zusätzlich darf nur eine beschränkte Rendite gemacht werden. Diese weise Regelung hat die Gesetzgeberin sehenden Auges gemacht. Würde man nämlich die Mietpreisbildung dem sogenannten Markt überlassen, könnte die Vermieterseite den Preis bestimmen. Die Konsequenzen für die Mietenden wären fatal: Man muss ja wohnen, man kann ja nicht nicht wohnen. Es herrscht also ökonomisch ausgedrückt Konsumzwang. Dort, wo die Arbeitsplätze sind, gibt es immer eine das Angebot übersteigende Nachfrage nach Wohnraum. Wenn nämlich mehr gebaut wird, kommen mehr Leute. Diese gehen ins Restaurant, zum Coiffeur, haben Kinder, die zur Schule gehen, und so weiter. Das schafft mehr Arbeitsplätze, was wiederum mehr Nachfrage nach Wohnraum nach sich zieht. Das Angebot hinkt also immer hinterher, egal, wie viel man baut. In der Ökonomie nennt man genau das einen «Anbietermarkt». Die Vermietenden können also den Preis festlegen und so die maximale Zahlungsfähigkeit der Mietenden abschöpfen, also eine maximale Rendite erzielen. Unser System sagt deshalb «Nein»! Nein, liebe Vermietende, ihr dürft keine beliebige Rendite machen, und die Mieten müssen sich nach den Kosten richten.

Sie fragen sich nun erst recht, warum dann die Mieten trotzdem so krass gestiegen sind in den letzten 20 Jahren?

Die Kosten für die Vermietenden sind wegen der historischen Tiefzinsphase massiv gesunken. Also hätten die Mieten im Gegenteil sinken müssen, weil sie sich ja an den realen Kosten zu orientieren haben. Dass dies nicht geschah, liegt daran, dass sich kaum mehr jemand an das geltende Mietrecht hält. Zinssenkungen werden zum Teil nicht weitergegeben. Der grösste Mietpreistreiber aber ist, dass bei Wohnungswechseln die Mieten einfach erhöht werden, obwohl das missbräuchlich und damit rechtswidrig ist. Einfach mal ein paar hundert Franken aufschlagen ohne den geringsten Mehrwert, ohne Leistung.

Sie fragen sich, wie das möglich ist?

Warum müssen sich Vermietende nicht ans geltende Mietrecht – also die Kostenmiete mit dem Renditedeckel – halten? Das ist so, weil sie es einfach können; denn die sogenannten Anfangsmieten müssen von den Mietenden vor einer Schlichtungsstelle angefochten werden. Und zwar im ersten Monat. Das machen circa 0,2% der Mietenden.

Sie fragen sich, warum so wenige Leute sich wehren?

Ganz einfach: Zuerst müsste man wissen, dass man das kann; viele haben aber von ihren Rechten keine Ahnung. Dann sollte man sich auch getrauen. Viele haben Angst – jetzt, da sie endlich eine neue Wohnung gefunden haben –, dass ihnen wieder gekündigt wird, wenn sie die Vermieterschaft vor Gericht ziehen. Und schliesslich hat man doch gerade in Treu und Glauben einen Mietvertrag unterschrieben. Juristenzeug schreckt viele ab. Dazu muss man auch noch Zeit haben, mitten im Umzugsstress die Miete anzufechten. Dass die einzelnen Mieterinnen und Mieter selbst für die Durchsetzung des Mietrechts sorgen müssen, ist deshalb ganz offensichtlich eine Zumutung.

Und so kommt es, dass die Mieten Jahr für Jahr steigen. Mietende zahlen über 10 Milliarden oder 360 Franken pro Monat zu viel gemessen an den gesetzlichen Vorgaben. Die Vermieterlobby hat also schleichend eine Marktmiete eingeführt, ohne je einen Buchstaben des Gesetzes zu ändern. Ohne dass die Bevölkerung je mit einer Abstimmung etwas dazu zu sagen gehabt hätte.

Sie fragen sich, wie lange wir dem noch zuschauen wollen?

Keinen Moment länger, denn dieses volkswirtschaftliche Debakel, diese gesetzeswidrige Ungerechtigkeit müssen wir stoppen. Die Bevölkerung muss korrigieren können. Der Mieterinnen- und Mieterverband lanciert eine Volks­initiative: Erstens müssen die Kostenmiete und die beschränkte Rendite endlich konkret in die Verfassung geschrieben werden. Und zweitens braucht es eine periodische automatische Überprüfung der Mietpreise. Denn schliesslich geht es hier nicht um irgendwelche Regeln zu Turnschuhen, sondern um die Durchsetzung eines Rechts rund um das Zuhause der Menschen und um den grössten Posten im Haushaltsbudget.

Text: Jacqueline Badran